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  Diplomarbeit Festspielhaus Hellerau
Denkmalpflegerisches Gutachten
 
 
   

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Inhalt

Bewertung

Der Denkmalwert des Festspielhauses in Hellerau ist bereits zu einem fr�hen Zeitpunkt im Jahre 1928 erkannt worden . Leider waren die Bem�hungen um eine denkmalgerechte Nutzung nicht von Erfolg , so da� das Geb�ude durch Bauma�nahmen 1938/39 stark �berformt wurde. Auch nach 1945 gab es, obwohl das Geb�ude unter Denkmalschutz stand, weder eine denkmalgerechte Nutzung noch eine denkmalgerechte Unterhaltung oder Instandsetzung. Erst mit dem Abzug der GUS-Truppen aus dem Geb�ude im Jahr 1992 scheint es nun m�glich, das stark ver-fallene Geb�ude nicht nur wieder entsprechend seinem Denkmalwert zu sanieren, sondern auch seiner urspr�nglichen Bestimmung gem�� zu nutzen. Im folgenden sollen zun�chst die Gr�nde benannt werden, die den Denkmalwert des Geb�udes als Einzeldenkmal in seiner Substanz von 1912 ausmachen. Schlie�lich m�chte ich dann auf der Grundlage des vorgefundenen Bestandes mein Konzept f�r eine denkmalgerechte Nutzung vorstellen.

Als Gr�nde f�r das �ffentliche Interesse, ein Bauwerk unter Denkmal-schutz zu stellen, gelten insbesondere k�nstlerische und wissenschaft-liche Kriterien sowie auch geschichtliche Werte. In der folgenden Bewertung sollen einzeln die

  • Sozialgeschichtliche Bedeutung,
  • k�nstlerische Qualit�t,
  • Stellung des Bauwerks im Oeuvre Tessenows,
  • Bedeutung f�r die Theaterwissenschaft,
  • technische Bedeutung und
  • st�dtebauliche Bedeutung

betrachtet werden.

Sozialgeschichtliche Bedeutung

Die Dalcroze-Schule war in der damaligen Zeit eine der bedeutendsten Schulen in Deutschland. Ihre Bedeutung ergibt sich einerseits aus den sozialreformerischen Ans�tzen im Zusammenhang mit der Gartenstadt, andererseits aus den p�dagogischen Ans�tzen von Jaques-Dalcroze.

Nach dem Willen der Kunstkommission und des Begr�nders der Garten-stadt Karl Schmidt sollte in der Gartenstadt eine Art "Gesellschaftshaus" entstehen. Wolf Dohrn hatte jedoch andere Vorstellungen. Mit der Bildungsanstalt wollte Dohrn mehr als nur ein Gesellschaftshaus f�r Hellerau errichten. Mit Jaques-Dalcroze fand er einen P�dagogen, der nicht nur neue Ans�tze in der Musikerziehung, sondern ein ganzheitliches Konzept entwickelt hatte. Er wollte vor allem "�sthetisch wirken", den Rhythmus in Hellerau "zur H�he einer sozialen Institution erheben und einen neuen Stil vorbereiten, der eine nat�rliche Ausbreitung erf�hrt und so ein wirkliches Erzeugnis der Seele aller Bewohner wird [...]" . Die "Tat" bemerkte zur Hellerauer Orpheus-Auff�hrung: "In Hellerau wird bewu�t ein Schritt �ber Reinhardt hinaus getan; die Menge wirkt nicht blo� als solche, sondern jeder einzelne ist zur Selbst�ndigkeit erzogen worden, ist sich seiner Freiheit bei aller Einordnung in das Ganze bewu�t" und macht damit den sozialen Anspruch der rhythmischen Gymnastik auf hervorragende Weise deutlich.

Paul Claudel sprach von einer Werkstatt neuer Menschlichkeit [laboratoire d'une humanit� nouvelle].

K�nstlerische Qualit�t

Mit dem Festspielhaus entstand nicht nur eine Bildungsanstalt mit einem multifunktionalen Raumprogramm, Tessenow setzt sich mit seiner Architektur auch von der traditionellen Formgebung seiner Zeit und ins-besondere von der umgebenden Gartenstadt ab. Das Geb�ude zeichnet sich einerseits durch �u�erste Sparsamkeit der architektonischen Mittel, andererseits durch klare und wohlproportionierte Formen aus. Dem hartn�ckig-sanften Neuerer und Verteidiger des bewahrenswerten Alten, dem Handwerker mit dem Blick f�r die Notwendigkeiten des Maschinen-zeitalters gelingt es ein Haus zu entwerfen, da� heute noch durch Monumentalit�t einerseits und Askese andererseits herausfordernd wirkt. Vergleicht man den Bau des Festspielhauses mit der zur gleichen Zeit entstandenen Volksb�hne in Berlin [Kaufmann / Richter - 1913/14], so fallen in der Formensprache deutliche Unterschiede auf, die nicht nur auf die andere Handschrift Tessenows zur�ckzuf�hren sind, sondern durch die Verwendung anderer Stilmittel entstehen. Bedeutsam ist auch die Zusammenarbeit zwischen Appia und Tessenow, weil beide in ihrem Bereich an der Vereinfachung als letzter Konsequenz k�nstlerischer Metamorphose arbeiteten. Appia bei der Gestaltung seiner B�hnenr�ume und Tessenow bei der Planung seiner Bauten.

Tessenow schafft es mit sparsamsten Mitteln, lediglich durch das Bau-volumen ein Bauwerk zu schaffen, da� eine tempelartige, monumentale Wirkung hat. Immer wieder werden von Tessenow die klassischen Stil-mittel verwendet, ohne sie jedoch, wie zu dieser Zeit �blich, einfach zu kopieren oder mit neuen Materialien in alter Form herzustellen. Tessenow abstrahiert die wesentlichen formbildenden Elemente und stellt diese mit neuen Materialien und in einer auf maschinelle Fertigung ausgerichteten Art und Weise her. Zwei Beispiele sollen diesen Umgang mit der Form verdeutlichen:

In der klassischen Formensprache gab es verschiedene Formen der Gesimsausbildung, unter anderem auch das Kyma. Auf der Grundlage einer einfachen Form des Karnies entstand ein mit Blumen, Ranken u.a. reichlich verzierter Gesimabschlu�. Tessenow vereinfacht diese Art der Gesimsausbildung nun soweit, da� nur noch die Form des Karnies �brig bleibt.

Beispiel Hier wird Tessenows Einstellung zum Ornament deutlich, die er selbst wie folgt beschreibt: "Das Ornament ist immer ein Beweis daf�r, da� es uns im Arbeiten an der n�tigen geistigen Lebendigkeit oder Kraft fehlte, das eigentliche Wesentliche oder Er[n]ste unserer Arbeit sehen oder verbessern zu k�nnen, ist sozusagen immer ein halbe Arbeit [...]" Ein weiteres Beispiel, das Tessenows Einstellung zur Formgebung deutlich macht, ist die Art und Weise der Verwendung des Fugenraster im Fu�boden der Eingangshalle. Hier werden die Fugenlinien bewu�t der gegebenen Grundform angepa�t: Oder mit den Worten von Tessenow: "Unserem einfachen oder Allgemeinen Empfinden nach fragt sich doch, warum so unbedeutende Teilungslinien so eigenwillig wichtig tun m�ssen, statt da� sie sich - etwa nach Figur 31 - ganz einfach naheliegend der gegebenen Grundform still anschlie�en oder zuordnen; �berhaupt ein Stilles Zuordnen [...]"

Vergleiche Erl�uterungsskizzen aus H. Tessenow: Hausbau ..., S. 55

Stellung im Oeuvre Tessenows

Das Festspielhaus in Hellerau ist zwar nicht Tessenows erste ausgef�hrte Arbeit, jedoch die erste gr��ere Bauaufgabe in Tessenows Werk. F�r den Bau des Festspielhauses gab Tessenow seine Assistentenstelle bei Martin D�lfer auf und widmete sich seit 1910 ausschlie�lich seinen Arbeiten f�r Kleinwohnungen in der Gartenstadt und dem Festspielhaus. Dar�ber hinaus verdeutlicht das Festspielhaus in besonderer Weise Tessenows Umgang mit einer bis auf das Wesentliche reduzierten klassischen Formensprache.

Bedeutung f�r die Theaterwissenschaft

Der europ�ische Ruhm, den die Auff�hrungen im Festspielhaus genie�en ist um so erstaunlicher, als er keinem professionellen Theater gilt, sondern Schulveranstaltungen, den Sommerfesten der Bildungsanstalt von Jaques-Dalcroze. Das Programm wurde �berwiegend von Laien bestritten.

Besondere Bedeutung f�r die Theaterwissenschaft bekommt das Fest-spielhaus durch die mit diesem Bau verwirklichte Theater- und Raum-konzeption. Zun�chst handelt es sich um ein multifunktional nutzbares Geb�ude, das genauso gut f�r gro�e Auff�hrungen, wie auch als Schul-geb�ude f�r die rhythmische Ausbildung genutzt werden konnte. Die Tatsache, da� nicht nur ein Raum, sondern praktisch das gesamte Geb�ude nach dem Konzept der multifunktionalen Nutzung entworfen worden ist, macht das Haus so bedeutsam. Zum einen bieten die 2geschossigen �bungsr�ume im Norden ideale M�glichkeiten f�r den Unterricht, andererseits lassen sie sich durch den direkten Bezug zum Saal als Seitenb�hnen einsetzen. Gleiches gilt sinngem�� f�r die Wandelhallen mit Oberlichtern, die f�r Auff�hrungen als Foyer nutzbar waren und im Schulbetrieb gleichfalls ideale �bungsr�ume darstellten.

Die vollst�ndige Aufhebung der Trennung zwischen B�hne und Zuschauerraum stellte eine Neuerung in der Theatergeschichte dar und sprengt die auch heute noch �bliche Vorstellung von einem klassischen Theaterraum. So wird das Festspielhaus in Hellerau schon damals als die bedeutendste Raumsch�pfung des Jahrhunderts bezeichnet.

Ein weiterer theaterwissenschaftlicher Aspekt f�r die Bedeutung des Fest-spielhauses ist die damals neuartige Beleuchtungsanlage, durch die der gesamte Raum in ein diffuses wei�es Licht getaucht werden konnte, wodurch ganz neue Formen der B�hnengestaltung m�glich wurden.

Technische Bedeutung

Das gesamte Geb�ude war mit der modernsten Haustechnik ausgestattet. Mit der Klimaanlage wurde ein 5-facher Luftwechsel in der Stunde erreicht. Zahlreiche L�ftungskan�le, deren Bedeutung und Lage heute nicht mehr bekannt ist, durchziehen das Haus und sollten auch unter dem Gesichtspunkt einer m�glichen Nutzung f�r eine neue Anlage auf ihre Brauchbarkeit hin untersucht werden.

F�r die Beleuchtung des Saales wurde eine neuartige Lichtanlage von Alexander von Salzmann entwickelt, die zu ihrer Entstehungszeit eine der modernsten lichttechnischen Anlagen war.

St�dtebauliche Bedeutung

Die st�dtebauliche Bedeutung des Ensembles mit dem Festspielhaus erkl�rt sich einerseits aus der hervorgehobenen Situation als st�dte-bauliche Dominante und andererseits aus seiner Andersartigkeit, die dazu f�hrte, da� das Festspielhaus an den �u�ersten Rand der Gartenstadt gedr�ngt wurde. In seiner Gr��e und Monumentalit�t hebt es sich deutlich von der �brigen Gartenstadt ab und aus ihr heraus. Mit dem Abri� der quer zur Hauptstra�e stehenden Wohnh�user und der Schlie�ung des Durchganges mit Kasernenfl�geln verweist der jetzige st�dtebauliche Zustand gleichzeitig auf die jahrelange Nutzung der Anlage als Polizeischule im NS und als Kaserne der Roten Armee.

Konzept f�r den Umgang mit der vorhandenen Substanz

Aus der Analyse des Bestandes und seiner Bewertung ergeben sich f�r den Umgang mit der Substanz die folgenden Ziele:

  • Erhaltung der noch vorhandenen Substanz der wesentlichen raumbildenden Bauteile f�r die nachstehenden R�ume:
    - Eingangshalle
    - Treppenhallen
    - Wandelhallen mit Oberlicht
    - Zweigeschossige �bungss�le im Norden
    - Gro�er Saal
  • Weitgehender Erhalt der noch vorhandenen Innenraumausstattung:
    - Holzeinfassungen der Durchg�nge und Nischen
    - T�ren im Eingangsbereich
    - Lichtdecken
  • Erhaltung der Fenster und Au�ent�ren aus der Entstehungszeit (insbesondere die Fenster in der Nordfassade des Mittelbaus und die Eingangst�ren der S�dfassade)
  • Erhalt der vorhandenen tragenden Dachkonstruktion einschlie�lich der originalen und nachtr�glich eingebauten Gaupen.
  • Nach M�glichkeit Erhaltung der originalen Gesimsausbildung und aller Natursteinwandbauteile
  • Erhalt der Treppen in den Treppenhallen, einschlie�lich der noch vorhandenen Gel�nderst�be, sowie der Natursteinfu�bodenbel�ge

 

URL zu diesem Dokument:
http://www.arch-m.de/projekte/diplom/denkmal.html
� hans-stefan müller, 23.09.2010